
Italien | Veneto | Venedig | 27. Februar 2022 | Wenn das letzte Faschingswochenende näher rückt, füllen sich die Gasse und Plätze von Venedig mit bunt maskierten Figuren. Waren es früher die Venezianer, die sich in Ausstattung und Eleganz ihrer Kostüme zu übertrumpfen versuchten, so sind es im 21. Jahrhundert zunehmend Touristen, die sich verkleiden. Aber trotzdem feiern die Venezianer „ihren Carnevale“ immer noch gebührend mit einer Reihe von Veranstaltungen im Zentrum der Stadt, auf den Laguneninseln und auf dem terra ferma, dem Festland, in Mestre.
Ein Blick in die Geschichte des venezianischen Carnevale
Keineswegs ist der venezianische Carnevale eine Erfindung von Marketing-Managern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In einem Schriftstück des Dogen Vitale Falier (er regierte von Dezember 1084 bis Dezember 1096) wurde bereits 1094 (!) diese Traditionsveranstaltung erstmals erwähnt. Zur Zeit des berühmten Casanovas (* 1725; † 1798) erreichte der Carnevale seine größte Pracht und Entfaltung. Als 1797 Napoleon Bonaparte in die Lagunenstadt einmarschierte, wurde der Carnevale verboten. Die Napoleon nachfolgenden österreichischen Habsburger ließen die Tradition nicht wieder aufleben. Erst der zunehmende Fremdenverkehr gegen Ende des letzten Jahrhunderts brachte 1980 die Wiedergeburt dieser uralten Veranstaltung.
Vom 15. bis ins 18. Jahrhundert war der Carnevale das beherrschende kulturelle Ereignis des Jahres in der Lagunenstadt. Bereits am zweiten Weihnachtstag zog das lockere, sittenverderbende Leben ein. Ab 13 Uhr stürzten sich die Venezianer in einen Freudentaumel, der bis zum Aschermittwoch dauerte. Am Stefanitag zogen sie maskiert in Scharen durch die Gassen, um sich auf dem Markusplatz zu treffen, wo dann ein sich alljährlich wiederholendes Zeremoniell stattfand.

Für die Dauer des Carnevale gab es keine Standesunterschiede, auch viele Einschränkungen des Alltags waren aufgehoben. Hinter Masken konnten einfache Bürger einmal einen Adeligen mimen oder sich ein verarmter Nobile (Vornehmer) verstecken, der sich schämte zu betteln und dabei nicht erkannt werden wollte. Erstmals 1548 wurde am Höhepunkt des närrischen Treibens, am Giovedi grasso (übersetzt „fetter Donnerstag“, der letzte Donnerstag vor Faschingsende), der Volo dell’Angelo, der Flug des Engels, vorgeführt. Dabei handelt es sich um ein waghalsiges Akrobatenstück, bei dem ein „Engel“ von der Spitze des Campanile an einem Seil auf den Markusplatz herunterschwebt.

Am darauffolgenden Martedi grasso, dem „fetten Dienstag“, dem Faschingsdienstag, wurde dann auf der Piazetta, dem kleinen Platz seitlich des Markusplatzes zum Meer hin, zwischen den beiden Säulen eine Figur mit Pantalones Maske verbrannt. Dazu skandierte die Menge „Es ist vorbei, es ist vorbei, der Karneval ist vorbei!“ Dann begannen die Glocken langsam und getragen die Fastenzeit einzuläuten.
Die Maske
Nicht nur während des Carnevale wurden Masken getragen. So war es üblich in den zwei Wochen vor Pfingsten und danach bis Mitte Juni maskiert durch Venedigs Gassen zu gehen. Schließlich war dann das Maskentragen auch noch in der Zeit zwischen 5. Oktober und dem Beginn der weihnachtlichen Novene am 16. Dezember erlaubt. Zu allen wichtigen gesellschaftlichen Ereignissen erschienen in diesen Zeiten die Venezianer maskiert.

Bauta heißt dabei die klassische venezianische Maske. Sie ist meist in weißer Farbe und dazu trägt man einen schwarzen Umhang mit Kapuze und einen schwarzen dreispitzigen Hut. Der untere Teil der weißen Gesichtsmaske ist etwas nach vor gebogen, damit der Träger essen und trinken kann. Getragen wurde die Bauta sowohl von Männern als auch von Frauen und war außerhalb des Carnevale in den Zeiten des Maskentragens sogar vorgeschrieben.
Interessant auch die Variante, bei der sich ein Unmaskierte ein Abzeichen, etwa eine Spielkarte, an die Kopfbedeckung heftete. Dies galt als Hinweis, dass der Träger als „maskiert“ gelten wolle. Was zur Folge hatte, dass hochgestellte Persönlichkeiten nicht wie sonst in Venedig üblich mit Ehrenbezeugungen gegrüßt werden mussten, sondern, so gekennzeichnet, gar nicht begrüßt werden durften!

Die Maske tragen bedeutete in Venedig etwas Besonderes. Sie machte aus dem Träger etwas Geheimnisvolles, er hatte überall bevorzugten Eintritt und Anspruch auf besondere Rücksicht. Die Regierung überwachte dabei die Unverletzlichkeit des Maskentragens.

Heute hat sich der moderne Carnevale di Venezia den Wünschen der Zeit angepasst und es gibt ein umfangreiches Rahmenprogramm für Einheimische und Besucher. Aber, so sagt man, die wahren lockeren, sittenverderbenden Treffen finden auch heute noch in geschlossenen Gesellschaften in den privaten Palazzi der Nobili statt.
Noch zur Worterklärung. Das Wort Carnevale setzt sich aus carne, itl. Fleisch, und vale, ital. für „ist wert“, zusammen; frei übersetzt: die Zeit, in der noch Fleisch gegessen werden darf; also die Zeit, nach der es kein Fleisch gibt (Fastenzeit). Andere dialektische Übersetzungen meinen, der Carnevale sei die Zeit, nach der das Fleisch geht, nichts mehr „wert“ sei. Daher wird im Carnevale noch einmal so richtig ausgelassen gefeiert!

Quelle: https://www.carnevale.venezia.it
